In den Medien

Die Welt Sucht Einen Manager

In Syrien herrscht Bürgerkrieg, China erhebt Weltmachtansprüche, Afghanistan ist unsicherer denn je, und Amerikas Beziehungen zu Russland sind auch nicht die besten. Es gibt reichlich zu tun für den wiedergewählten US-Präsidenten

Herausgegeben von
Cicero
 on 1. Dezember 2012

Source: Cicero

Wie nach der Sommerpause am Stadttheater kommt in diesen Tagen das geneigte außenpolitische Publikum der Welt zusammen. Nach dem Ende der schier endlosen Wahlkampfzeit in den USA wartet es gespannt auf den globalen Spielplan der neuen Saison. Nachdem die internationale Öffentlichkeit innerlich zu weiten Teilen Barack Obama gewissermaßen mitgewählt hat, will sie nun wissen, was der Commander in Chief mit seiner zweiten Amtszeit anfangen will.

Wie selbstverständlich wird angenommen, dass es vor allem am US-Präsidenten liegt, welche Themen global angepackt werden. Diese Annahme hat mit der Realität zwar weniger zu tun als früher, sie zeigt aber, wie sehr die Vereinigten Staaten trotz aller Machtverschiebungen weiterhin als die einzige Supermacht und als Schlüssel zu internationalem Wohl oder Wehe angesehen werden. Sie zeigt auch, dass das Publikum einen guten Instinkt dafür hat, dass trotz der relativen Schwächung Amerikas durch den „Aufstieg der anderen“ nach wie vor nur die USA international unentbehrlich sind. Solange die angeblich so aufstrebenden Mächte der Zukunft sich nicht nur als instabil erweisen, wie dies derzeit immer offenbarer wird, und solange sie auch den Schritt in die Verantwortung eines globalen Stabilitätsgaranten verweigern, wie dies vor allem Russland und China mit Entschlossenheit tun, wird sich daran auch nicht viel ändern. Zwar beginnen nicht mehr alle globalen politischen Debatten mit Amerika, aber fast alle enden mit dem fragenden Blick nach Washington: "Can you please do something?"

Die Frage, was der Präsident sich vornehmen wird, ist dabei fast müßig. Obamas außenpolitischer Aufgabenzettel schreibt sich angesichts der Weltlage praktisch von allein. Neben den Dauerkrisen und anderen Hauptaufgaben – Syrien, Iran, China, Afghanistan, Nordkorea, Al Qaida, Eurokrise, Israel-Palästina, „Pivot“nach Asien – wird die außenpolitische Agenda seit jeher vor allem vom improvisierten Reagieren auf „Breaking News“ bestimmt. Ob da Zeit für die Kür bleibt, also ein selbst gewähltes Projekt, wie es sich beispielsweise Amtsvorgänger George W. Bush mit der Bekämpfung von Aids in Afrika gesucht hatte, ist zweifelhaft. Dies umso mehr, als das Hauptaugenmerk Obamas ohnehin auf der Bewältigung der hauseigenen amerikanischen Wirtschafts-, Schulden-, Arbeitsmarkt-, Politsklerose-, Strukturwandelkrise liegen wird. Und ob der wiedergewählte Präsident sich das außenpolitische Feld vornehmen wird, um ein „legacy project“, ein politisches Vermächtnis zu hinterlassen, wie es Bill Clinton mit der Lösung des Nahostkonflikts versucht hatte, ist nicht abzusehen. Bleibt also vor allem das, was getan werden muss.

Zu allem Unglück muss der Präsident gleich zu Beginn der neuen Amtszeit sein außenpolitisches Kernteam neu zusammenstellen. In Europa, in dem starke und beharrliche Verwaltungen einen großen Teil des Politikbetriebs absorbieren, wird oft unterschätzt, wie entscheidend die Personalauswahl in den USA fürs Funktionieren der Regierung ist – und wie lange dieser Prozess dauern kann. Obama muss nicht nur auf absehbare Zeit einen Ersatz für die scheidende Außenministerin Hillary Clinton finden. Auch Verteidigungsminister Leon Panetta, eine Schlüsselfigur beim höchst ambitionierten und höchst komplexen Umbau der amerikanischen Streitkräfte (auch dies ein Kernprojekt), gilt als amtsmüde. Hinzu kommt, dass der Präsident nur Tage nach seiner Wiederwahl einen seiner fähigsten, loyalsten und über Parteigrenzen hinweg anerkannten Berater in einer Schlüsselposition eingebüßt hat. CIA-Chef David Petraeus, vormals Vier-Sterne-General und Amerikas militärisch-intellektueller Vorzeigefeuerwehrmann für die harten Fälle im Irak und in Afghanistan, trat nach einer Liebesaffäre von seinem Amt zurück. Gleich drei der vier Hauptfiguren seines Außenpolitikteams zu verlieren (der vierte ist der nationale Sicherheitsberater), ist ein schwerer Schlag für Obama. Die Personalien werden intensiv beobachtet werden, denn Neubesetzungen bedürfen der Zustimmung des Senats, was sich bei manchem Kandidaten als höhere Hürde herausstellen könnte, als vorher geahnt.

Grundsätzlich wird es wohl eine gewisse Kontinuität in der US-Außenpolitik geben, aber neue Personen werden neue Akzente setzen wollen. Unklar ist auch, ob alle zukünftigen Spitzenleute einem Präsidenten, der nicht wiedergewählt werden kann, so loyal dienen werden, wie dies Clinton, Panetta und Petraeus getan haben.

Während all dies noch nicht entschieden ist, können die eigentlichen Themen kaum warten. An erster Stelle steht die Entwicklung rund um das iranische Atomprogramm. Während die offiziellen Verhandlungen der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats und Deutschlands mit Iran wegen der US-Präsidentenwahl mehr oder weniger auf Eis lagen (das europäische Verhandlungsteam um die EU-Beauftragte Catherine Ashton hatte in der Zwischenzeit die Aufgabe, die Tür nicht ganz zufallen zu lassen, was auch gelang), gab es hinter den Kulissen fieberhafte Aktivitäten. Die Amerikaner haben es mit enormem Druck (und weil der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu sein Blatt überreizt hatte) geschafft, Israel von einem militärischen Alleingang gegen Teheran abzuhalten. Gleichzeitig streckten Obamas Diplomaten die Fühler Richtung Iran aus, um die Möglichkeiten direkter Verhandlungen auszuloten. Mit den kommenden Wahlen in Israel (Januar) und in Iran (Juni) ist die Lage zwar politisch aufgeladen. Dennoch wird erwartet, dass die Amerikaner den Mullahs ein neues Angebot machen werden, um zu einer friedlichen Lösung im Atomstreit zu kommen. So ein Angebot könnte den Iranern die Anreicherung von zivil nutzbarem atomarem Brennstoff„ bis zu einer gewissen Obergrenze zugestehen und dafür im Gegenzug den Verzicht auf weiter gehende Anreicherung und Ausrüstung einfordern, vor allem aber echte internationale Inspektionen iranischer Anlagen. Gegner einer diplomatischen Lösung würden das zwar als Einknicken des Westens werten, doch ein solches Angebot hätte zwei wichtige Nebenaspekte: Erstens würde es enormen innenpolitischen Druck auf Iran ausüben, wo hinter den Kulissen ein erbitterter interner Kampf um den richtigen Kurs des Landes entbrannt ist. Zweitens würde das Ausschlagen eines ernst gemeinten und substanziellen Angebots durch die Führung in Teheran die Psychologie in der Nuklearfrage deutlich verändern. Ein militärisches Eingreifen würde dann vermutlich auf weitaus weniger weltweiten Widerstand treffen, als dies derzeit der Fall wäre.

Mindestens so dringlich, und mit der Iranfrage auf ungute Art verwoben, ist das Thema Syrien. Obama sah sich im Wahlkampf dem Vorwurf ausgesetzt, auf die entsetzliche Lage im Bürgerkriegsland nicht entschieden genug reagiert zu haben. Lange Zeit setzte Washington darauf, dass Syriens Präsident Baschar al Assad eher früher als später fallen müsse, und versuchte vor allem diplomatisch, die Exilopposition zu unterstützen. Nachdem klar wurde, dass diese bei den Gruppierungen, die in Syrien selbst den militärischen Kampf gegen das Regime führten, kaum über Legitimation verfügt, vollzog Washington eine Kehrtwende. Nun will man sich intensiver direkt mit den Rebellen koordinieren, obwohl dies ein extrem heikles Unterfangen ist, da die kämpfende Opposition multipel gespalten ist, teils dubiose Ziele verfolgt, mit sehr unterschiedlichen (und oft inakzeptablen) Methoden zu Werke geht und über Unterstützer im Ausland verfügt, mit denen man sich nicht gemeinmachen will. Eine „reguläre“ militärische Intervention auf der Basis eines Mandats des UN-Sicherheitsrats scheint wegen der starren Haltung Moskaus und Pekings derzeit nicht möglich und wird von den westlichen Mächten insgeheim auch nicht herbeigesehnt.

So bleibt als praktische Option nur das Eingreifen an der Peripherie des Konflikts, beispielsweise durch Einrichten von Flugverbotszonen im türkisch-syrischen Grenzgebiet. Diese müssten dann allerdings auch durchgesetzt werden, was die Schutzmacht automatisch zum Kombattanten in einem höchst diffzilen Konfliktgemenge machen würde. Bisher schrecken vor allem westliche Militärs vor einem solchen Szenario zurück, weil sie eine unübersichtliche Lage mit unkalkulierbarem Ausgang fürchten. Nicht zuletzt auch, weil man bei Flugverbotszonen nie weiß, wen genau man da eigentlich schützt, und wer dann unter westlichem Schutzschirm welche Politik verfolgt.

Je brutaler die Nachrichten aus Syrien aber werden, und je größer die Gefahr eines Flächenbrands in der Region wird, der die ohnehin fragilen Staaten Libanons und Jordaniens sowie Israel, Iran, die Palästinensergebiete und vielleicht sogar Ägypten und den Golf erfassen könnte, desto größer könnte die Versuchung werden, doch einzugreifen. Hier wird Obama schwere Entscheidungen treffen müssen, die auch für Europa von Bedeutung sein werden, nicht zuletzt über die enge Verflechtung und Allianz mit der Türkei. Viel wird davon abhängen, ob eine weitere Eskalation in Syrien als Gesichts- und Prestigeverlust Amerikas gedeutet würde. Schon jetzt aber ist eins deutlich: Amerika hat in der Region weniger Gewicht als noch vor zehn Jahren.

Auf niedrigerer Flamme, aber mit dem Potenzial für extrem negative Entwicklungen, kocht das Dauerthema Afghanistan. Barack Obama hat sich bereits vor einiger Zeit auf einen Abzug der verbliebenen 68 000 US-Soldaten bis Ende 2014 festgelegt und diesen Termin auch gegen alle Kritik verteidigt. Nun muss dieser Abzug gestaltet werden. Zum einen müssen die Etappen, in denen das nicht nur logistisch äußerst anspruchsvolle Unterfangen vollzogen werden soll, festgelegt werden. Dies muss eng mit den Partnern der Isaf-Mission abgestimmt sein. Zum anderen muss zusammen mit dem afghanischen Präsidenten Hamid Karzai das Sicherheitskonzept für die Zeit nach dem Abzug erarbeitet werden. Daraus wird sich ergeben, wie viele amerikanische Soldaten als Berater, Ausbilder und als Notfallreserve im Land verbleiben sollen.

Das Ganze spielt sich ab vor dem Hintergrund einer sich zusehends verschlechternden Sicherheitslage in Kabul und im Rest des Landes. Die Taliban warten nur auf den Abzug der westlichen Truppen, und das äußerst selbstbewusste Auftreten ihrer Guerillakämpfer zeigt deutlich, wer sich für die wahren Machthaber im Land hält. Die Übergabe der Verantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte gestaltet sich mühsam, zuletzt zusätzlich erschwert durch die zunehmende Zahl von Angriffen afghanischer Soldaten auf ihre westlichen Ausbilder.

Während Obama und Amerikas Alliierten die Erbmasse ihres mehr als zehn Jahre dauernden Einsatzes am Hindukusch sortieren, positionieren sich im Hintergrund die Anrainer. Vor allem Pakistan, formal Partner des Westens, spielt sein eigenes Spiel. Dabei geht es vor allem darum, den möglichen Einfluss des Erbfeinds Indien in einem Post-Isaf-Afghanistan klein zu halten. Natürlicher Partner Pakistans sind dabei die Taliban, die seit jeher enge Bande zu Teilen der pakistanischen Regierung pflegen. Islamabad hat ein Interesse am Erstarken der Gotteskrieger. Der Westen fürchtet nichts mehr als das. Im Grunde hat sich Afghanistan schon jetzt von einem gut begründbaren Waffengang zu einem Verlustspiel des Westens gewandelt. Zwar wurde das ursprüngliche Ziel, das Land als Rückzugsort islamischer Terroristen zu säubern, leidlich erreicht. Der dann draufgesattelte Auftrag, aus Afghanistan ein selbsttragendes, stabiles Gebilde zu machen, das den Rückfall in alte Zeiten selbst verhindern kann, ist hingegen gescheitert. Von Obamas Entscheidungen hängt nun „nur noch“ ab, ob der Rückzug ohne Gesichtsverlust erfolgen kann oder zum Fanal westlicher Machtlosigkeit wird. Solch ein Fanal würde auch – und vor allem – in China genau zur Kenntnis genommen werden. Das Verhältnis Amerikas zur Volksrepublik ist von tief sitzender Schizophrenie geprägt. Zum einen sieht ein verunsichertes Amerika in 1,3 Milliarden Chinesen einen geopolitischen Rivalen, andererseits ist die wirtschaftliche Verknüpfung der beiden größten Volkswirtschaften der Erde so existenziell, dass es für beide Seiten zu guten Beziehungen keine Alternative gibt.

Es wird viel vom diplomatischen Geschick des  Präsidenten und seines neuen Teams abhängen, ob Amerika einen Mittelweg findet zwischen seiner Rolle als Sicherheitsgarant im Pazifik und seinen wirtschaftlichen Interessen. Noch viel mehr wird allerdings wohl davon abhängen, wie sich die neue chinesische Partei- und Staatsführung politisch ausrichten wird. Obwohl die Personen, die in China dieser Tage das Ruder übernehmen, bekannt sind, ist unklar, wie sie die durchaus heikle interne Situation der Kommunistischen Partei, den zunehmenden Druck aus der Bevölkerung und die Rivalität zwischen Partei- und Armeeführung in praktische Politik umsetzen werden. Obama wird sich, nach der von ihm eingeleiteten strategischen Neuausrichtung Amerikas nach Asien, die in Peking nicht als freundlicher Akt aufgenommen wurde, sehr intensiv mit asiatischer Diplomatie (auch im Verhältnis zu Korea, Japan, den Philippinen und nicht zuletzt Taiwan) auseinandersetzen müssen.

Und auch Russland steht auf der To-do- Liste des Präsidenten. Hier hatte sich Obama von dem durch ihn eingeläuteten „Reset“ der – durch Misstrauen gekennzeichneten – Beziehungen hervorgetan. Doch trotz einiger praktischer Kooperationsvorhaben zu Afghanistan und zur Rüstungsbegrenzung ist kein grundlegender Schwenk im Verhältnis der beiden Altrivalen eingetreten, was Beobachter in erster Linie der russischen Seite anlasten. Ob ein geschwächter russischer Präsident die Kraft aufbringt, in den russisch-amerikanischen Beziehungen in Vorleistung zu gehen oder ob das Feindbild Amerika für Wladimir Putin an der Heimatfront allzu nützlich ist, bleibt bislang eine offene Frage. Barack Obama jedenfalls möchte mit den Russen vor allem bei der nuklearen Abrüstung vorankommen und ist dafür unter Umständen bereit, beim geplanten Raketenabwehrsystem in Europa Abstriche zu machen.

Womit das Zauberwort gefallen ist: Europa. Was hat der alte Kontinent von Obama II zu erwarten? Die Antwort ist klar: Obama erwartet von den Europäern, dass sie schnellstmöglich ihre Wirtschaftskrise in den Griff  bekommen, die Sicherheit in ihren geografischen Hinterhöfen auf dem Balkan und in Nordafrika selbst garantieren und im Nato-Bündnis größeres Engagement zeigen. Auf keiner dieser Baustellen sind schnell Fortschritte zu erwarten.

Ein echtes Gewinnerthema könnte hingegen die transatlantische Freihandelszone werden. Ein Bericht mit Empfehlungen dazu wird noch vor Jahresfrist erwartet, Verhandlungen sollen schon im kommenden Jahr beginnen. Sie könnten bis zu zwei Jahre dauern – sofern der US-Kongress dem Präsidenten das entsprechende Mandat erteilt. Sollte das Vorhaben gelingen, wäre dies ein Paukenschlag im  heraufziehenden pazifischen Jahrhundert.

Es wäre nicht ohne Ironie, wenn es ausgerechnet das von vielen in Washington schon abgeschriebene Europa wäre, das dem Präsidenten und den USA einen so substanziellen geopolitischen Triumph bescherte.

Der Artikel wurde ursprünglich in Cicero veröffentlicht.

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