Source: Die Welt
8. August 2013 , 08:08 MEZ
Lieber Dmitri,
in Ihrem Blog haben Sie gestern zurecht vermutet, dass politische Gründe zur Absage des Gipfels mit Putin führten. Das stimmt. Es ist einfach so, dass das amerikanisch-russische "Reset", von dem Obama zu Beginn seiner Amtszeit überzeugt war, nicht erfolgreich sein kann, wenn Russland nicht unter die Oberfläche der politischen Debatte in Washington schaut. Ich schreibe diese Mail aus Nashville, dem tiefsten Herzland der Vereinigten Staaten. Hier sieht man keinen Snowden, Putin oder Europa auf den Bildschirmen. All die heftigen Anti-Putin-Stimmen in Washington, sie verursachen im Rest des Landes nur herzliches Gähnen.
Amerika bleibt sich wieder einmal treu. Auf jeden militärischen und außenpolitischen Sieg folgte eine Ära der Introspektion. In einer solch selbstbezüglichen Phase sind wir nun wieder. Russland ist keine Bedrohung, wir haben kaum gemeinsamen Handel und die Regierung wir immer unerfreulicher. Selbst die "New York Times" fragte rhetorisch, was denn Sinn und Zweck eines Treffens mit Putin sein solle.Die amerikanische Debatte zeichnet sich wieder einmal durch Desinteresse an allem Internationalen aus. Die große Nachkriegszeit der Institutionen-Bildung ist vorbei. Hillary Clinton war nie frustrierte Internationalistin, von der ihre Unterstützer immer reden. Sie verkörperte im Gegenteil das Zukunftsmodell amerikanischer Diplomatie – starke Verteidigung unserer Grenzen und Konzentration auf harte ökonomische und softe soziale Themen. Es sieht so aus, als ob sie unser nächster Präsident wird.
Russlands Problem mit den USA und Europa ist doch nicht, dass wir es ausschließen, sondern dass wir einfach keine Gemeinsamkeit finden. Wenn Russland nicht bereit ist, der modernen Welt beizutreten, wird es weiter in Isolation abdriften. Das ist die Unterströmung der Absage an Putin. Cheers JK
8. August, 09.35 MEZ
Lieber John,
Ich verstehe, was Sie über Nashville und Amerika als Nation sagen. Doch die Außenpolitik wird nur in Washington D.C. diskutiert, entwickelt und entschieden. Die Stadt ist sehr politisiert. Kein Präsident kann ignorieren, was wichtige politische Stimmen dort von sich geben, weil er sie braucht, so wie Obama McCain braucht. Auch Putin zeigt Verachtung für Außenpolitik. Er wusste genau, was kommen würde – und hat doch die Snowdon-Sachedurchgezogen. Das ist ein neuer Trend im Kreml und ein Abschied von den vergangenen vier Jahren. In den russisch-amerikanischen Beziehungen treffen wir auf ein Problem, dem man nicht mit dem Reset-Knopf begegnen kann. Die Sicht beider Länder auf die gegenseitigen Beziehungen ist nicht kompatibel.
Noch mehr sorgt mich der Wandel der Beziehungen zwischen Russland und Europa. Die besondere, jahrzehntelange Beziehung zwischen Deutschland und Russland ist vorbei, zumindest auf politischer Ebene. Russlands doppelte Entfremdung von den USA und der EU verheißt eine neue, besorgniserregende Zeit.
8. August, 17:52 MEZ
Dmitri,
Ironischerweise ist der Rückzug Amerikas eines der wenigen Themen, über das in Washington ein Konsens besteht. Obamas Sicht der Welt unterscheidet sich nur marginal von der Bushs und einiger weniger ernstzunehmender Republikaner. Beide vernachlässigen eine strategische relevante Rolle zugunsten einer amerikazentrierten Definition von Interessen. Gibt es ein besseres Symbol dieses Wandels als die Übernahme der "Washington Post" durch den Amazon-Chef Jeff Bezos? Zwar beeinflusst er als global player die Welt nicht weniger als der amerikanische Außenminister. Aber würde man ihn fragen, dann würde er wahrscheinlich Nato mit einem japanischen Elektronikhersteller verwechseln.
Obamas Berliner Rede hat nicht die Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdient. Er forderte eine deutsch-amerikanische Partnerschaft, die Europa und den Atlantik transzendiere. Die EU erwähnte er mit keinem Wort. Obamas Blick auf Deutschland ist pragmatisch und sachorientiert. Er ist der erste Präsident seit 1945, der das europäische Projekt nicht als Kern amerikanischer Interessen sieht. In einem solchen Szenario ist China zentral und Russland hat sich selbst irrelevant gemacht. Auch wenn die Deutschen manchmal im Umgang mit Russland einen unangebrachten Idealismus an den Tag legen, so sind sie doch das einzige, und ich meine, das EINZIGE westliche Land, das ein Gefühl für den Osten hat und an engen Beziehungen mit Russland interessiert ist. Und es muss immer mindestens ein Land geben, das Russland "eingemeinden" will, sonst sind die Konsequenzen fürchterlich. Russland ist natürlich nicht irrelevant. Aber seine heutige Relevanz wird zunehmend eine negative. Man kann sich nicht der Globalisierung verweigern und alle unsere verzweifelten Versuche blockieren, die Instabilität in dieser neuen Ära einzudämmen.
8. August, 18.65 MEZ
Lieber John,
da stimme ich erneut mit Ihnen überein. Ich glaube, dass die USA und Europa – von Deutschland geführt, wie ich annehme – in ernste Schwierigkeiten geraten sind, was die globale Führungsrolle des Westens anbelangt. Die Frage der Werte ist schrecklich wichtig – die Welt schaut genau hin. Und es sieht sehr ernst aus. Bei den Problemen des Westens spielt Russland absolut keine zentrale Rolle. Entweder finden die Russen einen Weg, sich neu zu sammeln, zu reformieren und ihrem Land einen Neustart zu geben – oder aber sie werden, gegen ihren Willen, zu einem Unterstaat Chinas.
Zu Deutschland: Ich glaube, dass Russland für die Deutschen aus vielerlei praktischen Gründen wichtig bleiben wird. Ob es allerdings seine historische Mission ist, Russland zu zivilisieren, oder wie Sie schrieben, "einzugemeinden", da hege ich doch leise Zweifel. Diese Chance existierte die letzten 20 Jahre und man hat sie nicht genutzt.Russlands Schwierigkeiten mit den USA und nun auch mit Europa fachen einen neuen russischen Nationalismus an, der sich von Europa absetzen will. Je näher aber Russland den Chinesen kommt, umso mehr wird man das Bedürfnis haben, russisch zu bleiben. Mit anderen Worten: Ich betrachte Russland wohl als im Grundsatz europäisch, aber nicht zu Europa gehörig.
Diese Artikel wurde ursprünglich—in einem leicht veränderten Format—in der Welt veröffentlicht.